Die große blaue Zweisamkeit
Das Zitat, das wir für diese Überschrift gewählt haben, stammt von unseren guten Freunden Bert und Marlene, von der Segelyacht "Heimkehr". Kurz und bündig beschreibt es zutreffend die Situation, die sich einstellt, wenn in unserem Kielwasser langsam das Land hinter dem Horizont versinkt und für Tage um uns herum nur noch die endlos erscheinenden blauen Weitern des Meeres zu sehen sind. Während dieser Reisen verblasst die restliche Welt bis zur Bedeutungslosigkeit und es gibt nur noch uns beide und das Schiff. Es sind wir, die die Reisen detailliert planen. Es sind wir, die alle Entscheidungen treffen und es sind wir, die schließlich auch alle Konsequenzen bis zum guten oder bitteren Ende tragen müssen. Es ist praktisch nur noch eine Macht geblieben, der wir uns bedingungslos unterordnen – die Natur. Wind und Wetter bestimmen unser Handeln. Möglicherweise ist das die Definition der absoluten Freiheit.
Diese große blaue Zweisamkeit die während unserer ersten Segelreise nach Australien unser ständiger Begleiter war, hat uns noch enger zusammengeschweißt, als es 30 Jahre Ehe an Land je vermocht hätten. Wir sind ein eingespieltes Team geworden, in dem sich jeder blind auf den anderen verlassen kann. Wir haben die Zuversicht gewonnen, dass wir auch kritische Situationen gemeinsam meistern können und unsere Liebe zueinander ist dadurch noch stärker geworden als je zuvor.
Als wir am 28. August 2009 in Kusadasi, in der Türkei unsere Reise begannen, glaubten wir noch, dass wir in vier Jahren einmal um die Welt segeln werden. Folgerichtig nannten wir es damals Projekt "Weltumsegelung". Inzwischen hat sich unsere Betrachtungsweise ein wenig geändert. Nachdem wir nach knapp drei Jahren mit unserem Schiff in Australien angekommen sind, erscheint es uns nicht mehr so verlockend, sofort wieder nach Hause zu segeln.
Stattdessen haben wir eine Pause eingelegt, SuAn in Australien gut eingepackt an Land gestellt und sind für eine Dauer von zwei Jahren in unsere Berufe zurückgekehrt. Neben dem offensichtlichen Grund Geld zu verdienen, wollten wir natürlich auch herausfinden wie gut wir uns nach der Zeit auf See wieder in die Arbeitswelt integrieren können. – Es war viel einfacher als wir dachten.
Doch da ist noch etwas anderes. Je länger wir nun von SuAn entfernt sind, desto mehr spüren wir es. Es ist der ständig steigende Drang wieder an Bord zu gehen, die Leinen zu lösen und hinaus auf die See in die große blaue Zweisamkeit zu segeln.
Hat uns da etwa ein Virus erwischt? Oder handelt es sich gar um eine Suchtform? Es interessiert uns nicht und wir machen uns deshalb weder Sorgen, noch begeben wir uns in Behandlung. Ab April 2014 sind wir wieder an Bord der SuAn und setzen unsere Reise fort.
In unserer Freizeit verwenden wir fast jede freie Minute, um unsere weitere Reise zu planen. Das ist auch absolut notwendig, denn wir haben uns vorgenommen die übliche "Barfußroute" zu verlassen.
Unsere Reise wird uns einmal um den Nordpazifik und schließlich ein weiteres Mal in den Südpazifik, bis zum Ziel, Neuseeland führen. Die beiden Highlights auf dieser Reise werden sicher Japan und Alaska sein. Beides sind allerdings auch schwierige seglerische Herausforderungen, die nur von sehr wenigen Yachten angenommen werden.
Wir begegnen diesen Herausforderungen, indem wir uns und unser Schiff auf alle Eventualitäten, getreu dem Motto: "Hoffe für das Beste und rechne mit dem Schlimmsten" vorbereiten. Bisher haben wir auf unseren Reisen um die halbe Welt, von der Türkei bis nach Australien und zwei überquerten Ozeanen noch nie einen Sturm erlebt. Das wird sich sicherlich im Nordpazifik ändern. Dort werden wir uns in die gefürchtete Zugbahn der Tiefdruckgebiete begeben. Aber auch die Strecke von Guam nach Japan ist nicht ohne, denn hier können das ganz Jahr tropische Wirbelstürme auftreten. Da diese auch dort entstehen, ist die Vorwarnzeit extrem kurz. Wir minimieren dieses Risiko, indem wir diese Strecke segeln, wenn die statistische Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Taifuns eher gering ist: Ende Februar oder März.
Alles in allem rechnen wir mit einem großen Abenteuer in dem wir vielen begegnen werden, wie z.B. interessanten Menschen, unbekannten Kulturen, bürokratischen Behörden, peitschendem Sturm, undurchdringlichem Nebel, Kälte, Eis und Schnee, tollen Landschaften, aufregenden Tieren, verschlissenen Segeln, Problemen mit der Technik und vieles andere, was wir uns noch gar nicht vorstellen können. Wir werden zeitweise frustriert sein und uns fragen was wir hier eigentlich tun, aber wir werden auch wundervolle Zeiten und einzigartige Momente erleben, die uns für alle eventuellen Strapazen mehr als entschädigen. Wir rechnen nicht mit einer leichten, aber wir rechnen mit einer überaus interessanten Reise und jeder Menge von der großen blauen Zweisamkeit.
Gabi und Lutz Pestel
Foshan, China, 05.August 2013